Depressionen sind eine weit verbreitete psychische Erkrankung, die in Deutschland mehr als 5 Millionen Menschen betrifft. In den letzten Jahren hat die Verschreibung von Antidepressiva stark zugenommen. Zwischen 2008 und 2017 erhöhte sich die Anzahl der ärztlich verschriebenen Medikamente zur Behandlung von Depressionen um mehr als 50 Prozent (
1). Die Forschung zur Darm-Hirn-Achse und zum Mikrobiom eröffnet neue Wege zum Verständnis und zur Behandlung dieser Erkrankung.
Unser Verdauungssystem und unser Gehirn sind eng miteinander verbunden. Diese Verbindung beginnt bereits bei der Entwicklung des Embryos im Mutterleib, wo das Nervenzentrum im Darm aus demselben Gewebe wie das Gehirn entsteht. Sieht das Gehirn nicht aus wie ein zusammengequetschter Darm?
Diese Verbindung spiegelt sich auch in unserer Sprache wider, wie zum Beispiel in Redewendungen wie "Schmetterlinge im Bauch" oder "Stress, der auf den Magen schlägt“. Die wissenschaftliche Forschung bestätigt die intensive Verbindung durch die Darm-Hirn-Achse. Dies ist ein komplexes Netzwerk aus Nervenbahnen, Bakterien und Hormonen, welches eine wichtige Rolle bei der Steuerung unserer Gefühle spielt.
Alle 30 Neurotransmitter des Gehirns, einschließlich Dopamin, Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und Serotonin, strömen durch den Darm und beeinflussen unsere Stimmung und Emotionen (
2).
Serotonin, oft als Glückshormon bezeichnet, wird zu fast 97% von unseren Darmbakterien hergestellt. Dopamin, das für die Motivation verantwortlich ist, wird zu etwa 50% von unseren Darmbakterien hergestellt. GABA, das für Entspannung und guten Schlaf sorgt, wird nur durch die Bakterien im Darm richtig synthetisiert (
3).
Die Aminosäure Tryptophan, die in unserer Nahrung vorkommt, ist für die Produktion von Serotonin essenziell. Unsere Darmbakterien unterstützen die Umwandlung von Tryptophan in Serotonin. Wenn wir nicht genug Tryptophan aufnehmen, beeinflusst das die Serotonin-Produktion direkt. Ein Rückgang des Serotoninspiegels kann zu Depressionen führen.
Das Mikrobiom, die Gemeinschaft von Mikroorganismen in unserem Darm, spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung unserer Stimmung und Emotionen. Forscher haben gezeigt, dass bestimmte Bakterienstämme unsere Stimmung und unser Verhalten beeinflussen können (
4). Eine gestörte Darmgesundheit kann die Produktion des Glückshormons Serotonin hemmen und zu Gefühlen von Angst und Depression führen (
5).
Die Wechselwirkung geht in beide Richtungen.
Depressionen können auch Auswirkungen auf unseren Darm haben. Viele Menschen mit Depressionen leiden unter Magenkrämpfen, Durchfall oder Verstopfung. Studien haben gezeigt, dass bei Menschen mit Depressionen die Zusammensetzung der Darmflora verändert ist (
6).
In Tierversuchen wurde gezeigt, dass die Übertragung von Stuhlproben von Menschen mit Depressionen auf gesunde Mäuse dazu führte, dass die Mäuse Angstzustände entwickelten (
7).
2022 präsentierten Forscher zum ersten Mal zwei Patienten mit schweren depressiven Störungen, die jemals mit einer Stuhltransplantation als zusätzliche Therapie behandelt wurden. Beide verbesserten ihre depressiven Symptome 4 Wochen nach der Transplantation. Die Wirkung hielt bei einem Patienten bis zu 8 Wochen an (
8).
Dies unterstreicht die Bedeutung einer gesunden Darmflora für die psychische Gesundheit. Die Forschung zur Darm-Hirn-Achse und zum Mikrobiom bietet neue Perspektiven für das Verständnis und die Behandlung von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Andere Faktoren wie Nährstoffmangel, Schwermetallbelastung und psychische Einflüsse spielen bei Depressionen ebenfalls eine Rolle. Dennoch könnte eine Behandlung, die auf die Optimierung des Darms abzielt, eine wertvolle Ergänzung sein.