Wissenschaftler bei einer Laboruntersuchung
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Biofilm und Wissenschaft

In unserem Körper verbirgt sich eine fast unsichtbare Bedrohung in Form eines schädlichen Biofilms. Dieses dichte Netzwerk aus Billionen von Mikroorganismen ist selbst vielen Medizinern unbekannt. Es nistet sich in unserem Darm ein und kann sich über seine gesamte Länge von 7-8 Metern ausdehnen. Der Biofilm ist resistent gegen Antibiotika und getarnt für unser Immunsystem.
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Die dramatische Veränderung der menschlichen Darmflora

Die menschliche Darmflora hat sich in den letzten 2000 Jahren dramatisch verändert. Fast 40% der damaligen Darmflora ist in unseren modernen Stuhlproben nicht mehr zu finden. In unserer modernen und unnatürlichen Welt leiden Millionen von Menschen unter einem Übermaß an schädlichen Fäulnisbakterien, einer sogenannten Dysbiose.

Verbreitung von Verdauungsproblemen

Laut einer aktuellen Umfrage leidet jeder Fünfte in Deutschland regelmäßig unter Bauchschmerzen. Es sind nicht nur die Deutschen, die mit hartnäckigen Verdauungsproblemen zu kämpfen haben. Eine Studie der Universität Leuven ergab, dass 69% der Belgier mit solchen Problemen, insbesondere Blähbauch, Durchfall und Krämpfen, zu kämpfen haben. Weltweit leiden mehr als 40% der Menschen an funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen. Diese alarmierenden Zahlen lassen vermuten, dass etwas nicht stimmt.

Anzeichen einer Dysbiose: Blähungen und stinkender Stuhlgang

Ein geruchloser Stuhl, Schweiß und Urin sind Anzeichen für eine optimale Verdauung und ein harmonisches Zusammenspiel der Mikroorganismen in unserem Darm. Übelriechende Blähungen und stinkender Stuhlgang sind hingegen Anzeichen einer Dysbiose im Darm, einem Zustand, der bei vielen Menschen alltäglich ist. Doch dies ist nur der Auftakt zu einem Prozess, der mit der Zeit einen immer größeren Biofilm entstehen lässt.

Biofilm als entscheidender Wendepunkt

Wir stellen die Hypothese auf, dass die Ausbreitung schädlicher Biofilme einen bedeutenden Übergang zwischen der gesunden und der kranken Mikrobiota darstellt.

In diesem Kontext könnte man den Biofilm selbst als eine Art Krankheitszustand betrachten. Er manifestiert sich in unterschiedlich ausgeprägten Stadien, wobei oftmals mehrere dieser Stadien gleichzeitig auftreten können.

Stadium 1: Auslöser von Verdauungsbeschwerden - Hier verursacht der Biofilm Symptome wie Blähbauch und Magenschmerzen.

Stadium 2: Allergien - In diesem Stadium führt der Biofilm zu Lebensmittelallergien.

Stadium 3: Immunsystem - Hier beginnt der Biofilm, das Immunsystem zu schwächen.

Stadium 4: Darmschleimhaut - In diesem Stadium entzündet der Biofilm die Darmschleimhaut. Es entsteht das bekannte Reizdarmsyndrom.

Stadium 5: Chronische Darmschleimhautentzündungen - Hier sind die Entzündungen der Darmschleimhaut chronisch geworden.

Stadium 6: Durchlässiger Darm (Leaky-Gut-Syndrom) - Eine Dysbiose des Darms führt zur unangemessenen Produktion einer erhöhten Menge an Zonulin, was anschließend zum Verlust der Darmbarrierefunktion führt.

Stadium 7: Chronische Entzündungen - Hier verursacht der Biofilm chronische Entzündungen im und auf dem Körper. Laut dem „Centers for Disease Control“ in den USA sind Biofilme bei etwa 65 % aller bakteriellen Infektionen in der Humanmedizin beteiligt. Das „National Institutes of Health“ schätzt diesen Wert sogar auf 80 %.

Stadium 8: Autoimmunerkrankungen – Bei genetischer Veranlagung und durch den Biofilm verursachten durchlässigen Darm kann eine Autoimmunreaktion ausgelöst werden.

Stadium 9: Darmkrebs - Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigte, dass die Entstehung von Darmkrebs stark mit der Biofilmbildung verbunden ist.

Diese Stadien verdeutlichen die potenziell verheerenden Auswirkungen, die ein Biofilm auf unsere Gesundheit haben kann.

Herausforderungen bei der Diagnostik von Biofilmen

Die Erkennung von Infektionen durch Biofilme stellt eine diagnostische Herausforderung dar. Bakterien in Biofilmen sind im Vergleich zu frei im Körper vorhandenen Bakterien mittels herkömmlicher Anzuchtmethoden schwerer zu identifizieren. Die Art und Weise, wie Proben genommen werden, ist dabei besonders wichtig. Bakterien im Biofilm haften an körpereigenem Gewebe und sind von einer schützenden Matrix umgeben. Daher ist ihre Nachweisung durch herkömmliche Probenahmen, wie mit einem Tupfer, oft nicht möglich.

Ein Durchbruch in der Diagnose vom Biofilm und entzündlichen Darmerkrankungen

Bislang war die Ursache vom Reizdarmsyndrom noch nicht eindeutig klar. Wiener Forscher konnten jedoch den Durchbruch erzielen und nachweisen, dass das Vorhandensein von endoskopisch sichtbaren bakteriellen Biofilmen im Darm häufig auf ein Reizdarmsyndrom hindeutet.

Die Forscher untersuchten den rechten Teil des Dickdarms und das Ende des Dünndarms auf sichtbare Biofilme. Es ist wichtig zu beachten, dass Biofilme oft nicht mit bloßem Auge erkennbar sind und sich im gesamten Dick- und Dünndarm ansiedeln können. Daher bietet diese Studie nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Darms, liefert aber dennoch ein sehr aussagekräftiges Ergebnis.

"Früher ging man bei den Darmspiegelungen immer davon aus, dass dieser klebrige Film Rückstände von Verunreinigungen des Darms darstellt, die schwer zu entfernen waren", erklärt Christoph Gasche vom Labor für Molekulare Gastroenterologie. "Jetzt konnten wir aber nachweisen, dass hier tatsächlich die Matrix von Bakterien haftet."

"Damit ist es uns erstmals gelungen, eine Ursache des Reizdarmsyndroms aufzuzeigen", erläuterte Studienleiter Christoph Gasche. Besonders betroffen von den bakteriellen Biofilmen sind Menschen, die ein Ungleichgewicht der Darmflora aufweisen und im Laufe ihres Lebens viele Medikamente eingenommen haben.

Insgesamt wurden in der Studie mehr als 1.000 Darmspiegelungen durchgeführt. Zwei Drittel der Personen, die Symptome eines Reizdarms zeigten, hatten Biofilme im Dünn- und/oder Dickdarm. Aber auch bei einem Drittel der Patienten mit Colitis ulcerosa wurden diese mukosalen Biofilme gefunden.

Quellen

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